Ritterrüstung aus dem ErdaltertumTrilobiten waren in den urzeitlichen Meeren des Planeten nicht die einzige Lebensform und zudem mitunter gefährlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt (vulkanische Aktivitäten, Stürme, marine Schlammlawinen - denen wir wohl einen Gutteil aller Fossilien von Trilobiten verdanken - und andere Unbill der Natur); zwei Faktoren, die es notwendig machten, entsprechende Überlebensstrategien zu entwickeln. Die weitaus effektivste war dabei das Einrollen des Trilobiten unter Rückzug aller vom Exoskelett nicht geschützten und damit weichen Extremitäten in eine Art von kompakter Kapsel. Aufgrund des flexiblen Baus des Thorax, mit seinen zahlreichen, gegeneinander beweglichen Segmenten, war es vielen unserer Arthropoden möglich, alle gefährdeten Teile wie Beine und Antennen innerhalb ihres harten Außenpanzers bei Bedarf mitunter vollständig und hermetisch abzuschließen. Dazu benutzen sie interne Muskeln, die das flexible Gewebe zwischen den starren Thoraxsegmenten derart steuerten, daß Cephalon und Pygidium sich einander annäherten. Das Abwehrverhalten rezenter Rollasseln ist also keineswegs eine neuere Erfindung! Zurück blieb eine harte, manchmal aufgrund gattungstypischer Bestachelung zudem noch sehr wehrhafte Kalzitkapsel, die Freßfeinden oder Umwelteinflüssen nur noch wenig und zudem widerstandsfähige Angriffsfläche bot. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß viele Gattungen einen durchweg ähnlichen Aufbau von Kopfschild und Pygidium aufweisen. Es scheint jedoch, daß nicht alle Trilobiten zu allen Zeiten fähig waren, diese Schutzmechanismen anzuwenden. Speziell manche der frühen "primitiven" Trilobiten des Kambriums, z. B. der rechts abgebildete Paradoxides, weisen einen Körperbau auf, der ein Einrollen weniger wahrscheinlich erscheinen lässt, wenn auch nicht unmöglich (siehe unvollständige Einrollung weiter unten). Viele frühe Redlichiiden waren relativ große Trilobiten und wahrscheinlich selbst Beutejäger, die selbst kein breites Spektrum an Freßfeinden zu fürchten hatten. Aber spätestens im Ordovizium und Silur hatten viele Taxa das Einrollen als effektiven Schutz angenommen. Zur Perfektion brachten es speziell einige Phacopida und Vertreter anderer Ordnungen; sie entwickelten spezielle morphologische Strukturen, die vincularen Verschlußfurchen und -kerben, die eine paßgenaue Verbindung im Falle des Einrollens ermöglichten, fast in der Art moderner Nut- und Federbretter. Ein paläozoisches Klick-System! ;-) Diese coaptativen Strukturen bilden einen evolutionären Höhepunkt in der morphologischen Entwicklungsgeschichte der Trilobiten und belegen, zusammen mit den einzigartigen schizochroalen Augen der Phacopina, die herausragende Stellung dieser Unterordnung innerhalb der Klasse Trilobita. Ich gebe gerne zu daß diese Einschätzung auch meiner persönlichen Vorliebe für die Phacopina geschuldet ist. Ihre in der Regel großen Augen und Ocellen, die prominente Glabella und der im ganzen sehr konvexe Körperbau geben ihnen einen ganz eigenen Charakter. Wenn es also Trilobiten gibt, denen ich mich besonders nahe fühle, dann sind es Phacops, Reedops, Drotops, Kainops und Co.! Wer einmal einen Stein aufgeschlagen und dabei unvermittelt in das gut erhaltene Auge eines solchen Trilobiten geblickt hat versteht vielleicht was ich meine. Ohne Richard Fortey nahetreten zu wollen halte ich ein solches Erlebnis für eindrucksvoller als seine in Trilobite! geschilderte Erstbegegnung mit einem Vertreter der Redlichiida mit ihren schmalen, in der Regel auch kompaktierten, holochroalen Sichelaugen. ;-)
Einrollung am Beispiel des phacopiden Trilobiten Barrandeops granulops (CHATTERTON et al., 2006) aus dem Unteren Devon, Timrhanrhart Formation, Zguilma, Marokko. Cephalon und Pygidium schließen aufgrund der speziellen Verschlußfurchen hermetisch miteinander ab. Alle Weichteile sind innerhalb der Kalzitkapsel eingeschlossen. Das vorliegende Exemplar ist ca. 1,5 cm breit. Eigenfund von Dieter Holland.
Fossile Funde komplett eingerollter Phacopiden wie dem hier gezeigten Prachtstück aus den devonischen Sedimenten vom Jbel Zguilma in Marokko sind nicht selten, was aber eher auf die generelle Häufigkeit der Unterordnung im Fossilnachweis zurückzuführen ist, als auf eine besondere Vorliebe dieser Vertreter für das Einrollen.
Schon aus dem Kambrium sind uns Funde eingerollter oder besser zugeklappter Agnostiden bekannt (bei zwei bis maximal drei Thoraxsegmenten sollte man den Begriff einrollen nicht strapazieren) sowie von Exemplaren des sehr häufigen Ptychopariiden Ellipsocephalus aus dem Barrandium von Böhmen. Man unterscheidet verschiedene Arten des Einrollens, die schon von BARRANDE im Jahr 1852 angesprochen wurden und sowohl in der 1959er Treatise als auch später noch einmal zur Diskussion standen: Sphaeroidiale, doppelte und discoidiale Einrollung. Die Unterschiede liegen vor allem in der morphologischen Eignung der einzelnen Arten den Einrollungsprozeß zu vollziehen. - Sphaeroidiale Einrollung qualifiziert sich durch die mehr oder weniger gleichartige Beteiligung aller verfügbaren Thoraxsegmente an der Einrollung, so daß sich eine der Kreisform annähernde Kugel unter Einschluß aller Extremitäten bildet. Kandidaten sind alle isopygischen oder makropygischen Trilobiten. Unser Phacops oben ist ein Musterbeispiel. - Doppelte Einrollung ist dann gegeben, wenn das Pygidium und bisweilen auch die hintersten Thoraxsegmente bis unter die Vorderkante des Cephalons eingebogen werden. In diesem Falle schließt das Pygidium also nicht mit dem Cephalon ab, sondern rollt sich leicht spiralig unter dasselbe. Dies kann man vor allem bei frühen kambrischen Trilobiten beobachten, so zum Beispiel bei dem oben bereits erwähnten Ellipsocephalus. Nicht umsonst sprach BERGSTRÖM 1973 von Spiralrollung. - Discoidiale Einrollung soll vorliegen, wenn der Trilobit lediglich den vorderen Thoraxteil einbiegt und den Rest des Thorax gewissermaßen als umgedrehten Deckel nutzt. Als Beispiel für eine solche Einrollung werden explizit die Vertreter der Harpetida erwähnt sowie trinucleoide Arten. Auch bei diesen Trilobiten mit ihrem enormen Cephalonrandsaum wurden alle gefährdeten Körperteile hermetisch abgeschlossen. Der Thorax beschrieb dabei - in einem beschränkten Teil - einen enorm engen Radius. Dabei scheint sich der Randsaum etwas nach unten gewölbt zu haben (auf Bild 2 sehr gut zu erkennen). Man kann spekulieren, daß dies auf die Spannung zurückzuführen ist, die beim Einrollen auf das gesamte Cephalon einwirkte. Einrollung am Beispiel des Trilobiten Harpes sp. aus Marokko. Trotz des eigentümlichen Cephalonrandsaumes schließt das Pygidium mit dem Ansatz des Randsaumes hermetisch ab. Präparat von Dieter Holland. Der Hauptunterschied zur sphaeroidialen Einrollung ist in erster Linie darin zu sehen, daß der hintere Thoraxbereich inklusive Pygidium ungekrümmt bleibt. Das ist vor allem auf der ersten Aufnahme unseres Harpes deutlich zu erkennen. Diese Unterscheidung mag auf den ersten Blick etwas spitzfindig erscheinen, wenn man aber in Betracht zieht, daß die Art der Einrollung schon einmal als Klassifikationsmerkmal vorgeschlagen wurde, sollte man der Sache doch Beachtung schenken. Eine bislang noch nicht erwähnte Art der Einrollung ist die unvollständige Einrollung: Diese vor allem bei frühen bestachelten Olenelloiden und Paradoxodoiden beobachtete Form liegt dann vor, wenn die Pleuren die ventralen Strukturen nicht hermetisch abschließen, sondern eine Lücke belassen, über die die Pleuralstacheln wehrhaft nach außen ragen (und die Lücke damit so ziemlich wettmachen). BERGSTRÖM nannte diese Variante auch zylindrische Einrollung in Anlehnung an die Form dieser klassischen Kopfbedeckung. Wie bereits angedeutet gab es in den siebziger Jahren Bestrebungen die verschiedenen Formen der Einrollung als Klassifikationsmerkmal zu nutzen. Allerdings gibt es bei der Einrollung ein derart großes Maß an Variabilität, daß schon damals viele Spezialisten die Eignung der verschiedenen Einrollungsmuster als ungeeignet für die Klassifikation auf höherer Ebene, bzw. die Einrollungsarten als dermaßen an die morphologischen Gegebenheiten gebunden ansahen, daß sie schlichtweg vernachlässigbar und für den angedachten Zweck nicht zu gebrauchen waren. Und so wurden dann auch in der 1997er Treatise die verschiedenen Formen als Merkmale von lediglich begrenztem Nutzen eingestuft die für die Klassifikation nicht von fundamentaler Bedeutung sind. Nichstdestoweniger bleibt die Einrollung eine faszinierende Sache und es ist immer wieder ein schönes Erlebnis einen perfekt eingerollten Trilobiten, welcher Art auch immer, in der Hand zu halten. Wir erwähnten anfangs, daß sich die Trilobiten verschiedenen Gefahren gegenübersahen. Neben den geologisch und meteorologisch bedingten Risiken waren natürlich Freßfeinde ein wesentlicher Faktor. Aber welche Tiere hatten es eigentlich auf die wuselnden Vielbeiner abgesehen? Wir wissen eigentlich noch relativ wenig über die Beutegreifer, die gleichzeitig mit unseren Arthropoden die Meeresböden für sich in Anspruch nahmen oder drohend durch die Wassersäule glitten. Der Fossilnachweis ist da eher spärlich. Neben Anomalocaris, einem Jäger des Kambriums, den man erstmals in den fantastischen Lagerstätten des Burgess Shale in British Columbia in Kanada aufspürte (es dauerte eine ganze Weile bis man das beeindruckende, rundliche Mundwerkzeug als solches identifiziert hatte - ursprünglich nahm Charles D. Walcott an es handle sich um eine Art von Qualle) hatten unsere Trilobiten sicher auch andere Freßfeinde zu fürchten, darunter wahrscheinlich die Seeskorpione oder Eurypteriden des Silurs, die bis zu 2 Meter lang werden konnten, und es ist auch anzunehmen, daß innerhalb der Klasse der Trilobita selbst entsprechende Beuteschemata existierten. Paradoxides war sicher ein Jäger der auch mal kleinere, benthische Trilobiten verspeiste. Daß Trilobiten Beutetiere waren, belegen zahlreiche Funde von Trilobitenpanzern mit eindeutigen Bißmarken, bisweilen sogar verheilt, so daß der Trilobit entsprechende Angriffe durchaus zu überleben imstande war, insofern keine lebenswichtigen Organe betroffen waren. Überhaupt scheinen die kleinen Krabbler ziemlich hart im Nehmen gewesen zu sein. Sicherlich mit ein Grund, warum sie es schafften unglaubliche 300 Millionen Jahre zu überleben. Ob Trilobiten sich auch im Zuge eines natürlichen Ablebens zusammenrollten, kann nicht belegt werden. Es ist anzunehmen, daß das Einrollen in erster Linie eine Schutz- und keine Todesstellung war. Das schließt selbstredend nicht aus, daß unsere Arthropoden in ihrer Schutzstellung auch zu Tode kamen, beispielweise bei Verschüttung unter Tonnen von Sediment im Rahmen von Seebeben und sich anschließenden marinen Erdrutschen im Shelfbereich der Urozeane.
Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 31.01.2019 14:27
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