Richard Fortey betitelte sein Buch über unsere kleinen Krabbler in der englischen Originalausgabe wie folgt: Trilobite! - Eyewitness to evolution (dt. Ausgabe: Trilobiten! - Fossilien erzählen die Geschichte der Erde).
In diesen vier Worten des Originaltitels - vom deutschen Verlag in seiner Aussage unverständlicherweise (oder gar bewußt?) verfremdet - steckt eine Menge Diskussionsstoff. Für die überzeugten Verfechter einer an den aktuellen Stand der Naturwissenschaft angepaßten Evolutionstheorie auf Basis der Erkenntnisse von Alfred Russel Wallace und Charles Darwin mögen sie sich völlig unspektakulär lesen. Für andere stellen sie im besten Falle eine unbewiesene Behauptung dar. Wie, also, ist es bestellt um die Evolution?
Zu unterscheiden ist hier zwischen Mikro- und Makroevolution. Mikroevolution umfaßt die beobachtbaren Veränderungen innerhalb einer Art, eventuell auch noch der Gattung, wenn man großzügige Maßstäbe anlegen will. Als Beispiel sind morphologische Umformungen und Abweichungen zu nennen, die jedoch an der allgemeinen Konstruktion und Funktion der einzelnen Körperteile und des Organismus als Ganzem nichts Wesentliches ändern. Die Entwicklung langer Wangen- oder Pleuralstacheln, etwa bei vormals eher kurzstacheligen Trilobiten, wäre ein solcher Vorgang. Des weiteren Änderungen in Länge und / oder Breite oder eine zunehmende Konvexität des Panzers. Durch Mikroevolution können sich, beispielsweise durch allopatrische Artbildung, neue Spezies entwickeln.
Makroevolution hingegen spielt sich auf einer höheren taxonomischen Ebene und in weitaus größeren Zeiträumen ab. Wir sprechen hier vom Entstehen neuer Familien, Ordnungen, Klassen oder gar Stämme! Hier sind die Veränderungen erheblich. Hier lernen im Extremfall Dinosaurier das Fliegen mittels Befiederung und entwickeln sich zu Vögeln. Hier wachsen neue Organe und Extremitäten. Andere verschwinden oder bilden sich zurück. Makroevolution begründet Biodiversität auf hohem Niveau.
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß die makroevolutionären Vorgänge für die Naturwissenschaft eine Herausforderung darstellen, zumal der Fossilnachweis hier spärlich ist. Der Mangel an Übergangsformen im geologischen Nachweis wird von den Naturwissenschaften nicht bestritten, von Kreationisten aber gerne dazu benutzt die ganze Evolutionstheorie und sogar die Evolution an sich in Frage zu stellen. Aus diesem Grunde werden Authentizität und Bewertung von Übergangsformen wie Archaeopteryx von ihnen regelmäßig angezweifelt.
Schon Charles Darwin war sich des Mangels im Fossilnachweis durchaus bewußt, er beschrieb diese Tatsache schon im Jahre 1859 in seinem Buch The Origin of Species by Means of Natural Selection, das wahrscheinlich von 95% aller Anhänger des Kreationismus und "Intelligent Design" nie gelesen wurde. Wissenschaftler - im Gegensatz zu religiösen Fundamentalisten - erheben keinen Unfehlbarkeitsanspruch. Die Erkenntnisse von heute sind die Irrtümer von morgen. Die Naturwissenschaft entwickelt sich weiter, sie evolutioniert selbst! ;-)
Einschränkungen im Fossilnachweis:
Der Fossilnachweis als wichtige Quelle für Wissenschaftler weist, wie bereits erwähnt, einige unbeschriebene Seiten auf, die dafür verantwortlich sind, daß nicht alle Abstufungen der Übergangsformen zwischen einander verwandten Artgruppen bekannt sind. Der Mangel an Kontinuität im Auftreten von Fossilien stellt eine Hürde dar, wenn man die Abstammungslinien biologischer Gruppen belegen will. Darüber hinaus gibt es noch weitaus größere Lücken zwischen den verschiedenen, evolutionär bedeutsamen Stammformen.
Diese Lücken bezeichnet man in der Regel als "Missing Links". Es gibt beispielsweise eine Lücke von ca. 100 Millionen Jahren zwischen dem Kambrium und Ordovizium. Im Kambrium sind verschiedene Fossilien von Schwämmen, Korallen, Seesternen, Mollusken und Trilobiten durchaus nicht selten. Im Ordovizium trat erstmals ein Fossil auf, daß man als Fisch klassifizieren kann und damit als Wirbeltier. Was uns de facto fehlt sind die fossilen Überlieferungen der Zwischenformen
(Charles Darwin betrachtete die "Zwischenformen" immer mit einer gewissen Reserviertheit. Seiner Meinung nach ist jede Spezies per se auch eine Zwischenform, da die Entwicklung ständig weitergeht, sei es in kleinen oder großen Sprüngen. Demzufolge fehlt in den in Frage kommenden Formationen im Fossilnachweis nicht die "Zwischenform", sondern alle möglichen "Zwischenformen", deren Fehlen man aber in Relation zu den enormen Zeitspannen setzen muß, in denen keine Fossilien überliefert wurden).
Anmerkung: Im Jahr 1999 wurden aus der chinesischen Provinz Yunnan die 530 Mio. Jahre alten Fossilien zweier früher Wirbeltiere beschrieben, Myllokunmingia und Haikouichthys, die aufgrund ihrer anatomischen Merkmale als solche klassifiziert wurden. Myllokunmingia ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein primitiver, kieferloser Fisch aus dem Unterkambrium der Chenjiang Fauna und stellt damit das älteste, bekannte Wirbeltier dar. Es weist einen Schädel auf sowie skelettale Strukturen, die aus knorpelartiger Substanz bestehen. Es gibt keine Hinweise auf eine Mineralisierung dieser Strukturen - nicht alle Lücken müssen auf ewig offen bleiben!
Für den Mangel an "Übergangsformen" im Fossilnachweis gibt es allerdings zahlreiche mögliche Erklärungen. Um nur einige (einer ganzen Unzahl) zu nennen:
- generell war die Wahrscheinlichkeit einer Fossilisation an sich schon sehr gering
- einige Lebensformen hatten an sich bereits eine geringere Chance fossiliert zu werden als andere, weil es sich bei ihnen um weichkörperige Formen handelte
- gleiches galt für Lebensformen, die unter Umweltbedingungen lebten, die eine Fossilisation von vornherein nicht begünstigten
- viele Fossilien wurden während der Metamorphose oder bei späteren tektonischen Vorgängen komplett vernichtet
- viele Fossilien liegen nur als Fragmente vor, nur in geringem Maße komplett
- evolutionärer Wandel vollzog sich mitunter innerhalb der ökologischen Reichweite einer bestimmten Art, und da die Anzahl an Individuen sich in kleinem Rahmen bewegte, war die Wahrscheinlichkeit der Fossilisation eingeschränkt
- ähnlich verhielt es sich mit sich verändernden Umweltbedingungen, die die Populationen beschränkten und die fossile Überlieferung evolutionärer Entwicklungen innerhalb dieser Fraktionen weniger wahrscheinlich machten
- die meisten Fossilien liefern Informationen über die äußere Form eines Organismus, aber weitaus weniger über seine Funktion
Wenn man die gegenwärtige Biodiversität auf der Erde als Anhaltspunkt nimmt, weisen die verfügbaren Daten darauf hin, daß wir nur von einem verschwindend kleinen Bruchteil aller Lebewesen, die während des Erdalterums und der darauf folgenden Abschnitte auf der Erde lebten, überhaupt Fossilien kennen.
Trilobiten und Mikroevolution:
Beispiele für mikroevolutionäre Vorgänge gibt es bei den Trilobiten allerdings genügend. Zu nennen sind hier - ausgehend von den "primitiven" Trilobiten des frühen Kambriums - insbesondere der Wandel in der Anzahl der Thoraxsegmente, die Ausbildung eines aus Einzelsegmenten kombinierten Pygidiums, das Verschmelzen der Gesichtsnähte und die Entwicklung schizochroaler Augen bei den Phacopina, sowie das Effacement des Panzers, also eine allmähliche Rückbildung der Segmentationsmerkmale, beispielsweise bei den Corynexochida (Paralejurus, Bumastus, etc.). Des weiteren die Ausbildung immer höherstieliger Augen bei manchen Asaphidae, die in Asaphus kowalewskii ihren Höhepunkt fanden. Alle diese Veränderungen lassen sich durch Anpassung an gegebene oder neue Umweltbedingungen sehr gut erklären bzw. in bestimmten Bereichen (z. B. Segmentierung) alternativ auch auf die Steuerung durch Hox-Gene zurückführen. Vergleiche hierzu etwa: Trilobite Tagmosis and Body Patterning from Morphological and Developmental Perspectives, Integr. Comp. Biol., 3:185-206 (2003) von Nigel C. Hughes.
Trilobiten und Makroevolution:
Makroevolutionäre Vorgänge bei den Trilobiten ultimativ nachzuweisen hieße letztlich die Übergangsform aufzutreiben, aus der sich die frühen "primitiven" Trilobiten entwickelten. Es gibt verschiedene Kandidaten, die wir auf der Unterseite Ursprünge bereits angesprochen haben. Dabei könnte es sich aber maximal um Vorgänger handeln, nicht um Übergangsformen. Das Fehlen vieler zu erwartender Übergangsformen im Fossilnachweis bleibt ein Problem, stellt aber keinen Nachweis dafür dar, daß Makroevolution nicht existiert. Archaeopteryx, selbst wenn er nur eine zeitlich bedingt existente Seitenlinie theropoder Dinosaurier repräsentieren sollte, beweist das Gegenteil. Eine kleine Analogie: Stellen sie sich die Verblüffung eines Hauseigentümers vor, der in seiner leeren, ausgeraubten Wohnung steht, während ihm ein gelangweilter Polizist erklärt, es habe gar keinen Einbruch gegeben, da man kein eingeschlagenes Fenster und keine aufgebrochene Tür vorgefunden habe.
Es sind andere Ursachen denkbar, wie und warum der Einbrecher ins Haus gelangt sein könnte. Das Fehlen von Einbruchsspuren beweist nicht, daß es den Einbruch nicht gegeben hat. Das Fehlen des vorher vorhandenen Geldes und Schmucks beweist hingegen unzweifelhaft, daß es ihn gegeben hat. Was bleibt ist Detektivarbeit.
Makroevolutionäre Vorgänge sind sogar am lebenden Objekt studierbar. Nehmen wir einmal die ganz gewöhnliche Blindschleiche, die bekanntlich keine echte Schlange ist, sondern eine Echse ohne Extremitäten. Entgegen der gemeinhin verbreiteten Ansicht, daß die Blindschleiche anatomische "Reste" ihres Ursprungs aus dem Echsenreich (Schultergürtel, Beinansätze) in ihrem Knochengerüst zeigt, ist dies tatsächlich nicht der Fall. Auf einem Röntgenbild einer Blindschleiche würden sich keine dieser Echsenmerkmale zeigen.
Das bedeutet jedoch nicht, daß es sie nicht gibt oder gab. Die Vorderextremitäten werden vielmehr während der Embryonalentwicklung ansatzweise angelegt und bilden sich noch im Verlauf der selbigen wieder zurück, so daß die Blindschleiche in dieser Hinsicht bei ihrer Geburt (ihrer Schlüpfung aus dem Ei) keinerlei Hinweise mehr auf ihre eigentliche Zugehörigkeit zeigt. Auch kann die Blindschleiche ihre Augenlider bewegen, ein Merkmal, daß allen echten Schlangen fehlt. Die Blindschleiche ist sicher keine Übergangsform zwischen Echse und Schlange, sie ist jedoch ein Beweis für eine Übergangsform zwischen Echsen mit Beinen und Echsen ohne Beinen mit Annäherung an das vorläufige End-Zwischen-Stadium des letzteren Typus (den auch dieser evolutioniert ja weiter). Der Komplettverlust ursprünglich vorhandener Gliedmaßen ist per definitionem Makroevolution.
Ein weiteres Beispiel findet sich bei den Walen und ihrem Skelett: Das Skelett rezenter Wale kommt weitestgehend ohne kompakte Knochen aus, da es vom Wasser stabilisiert wird. Aus diesem Grunde sind die bei den Landsäugetieren üblichen Kompaktknochen durch feinmaschige Spongiosaknochen ersetzt. Im Ohr und an der Schnauze findet sich eine nur bei Walen zu findende Knochenform von extrem hoher Dichte , die an Porzellan erinnert. Diese hat besondere akustische Eigenschaften und leitet den Schall besser als andere Knochen. Ein Schlüsselbein fehlt vollständig. Da eine Fortbewegung des Wals auf dem Land nicht mehr erforderlich ist und bei den großen Arten aufgrund des Körpergewichtes auch nicht mehr möglich wäre, sind die Hintergliedmaßen stark verkümmert und nur noch als Skelettrudimente ohne Verbindung zur Wirbelsäule vorhanden. Wale sind ein Musterbeispiel für Makroevolution, die sich an der Anpassung an neue Lebensräume ausrichtet.
Übrigens streiten manche Wissenschaftler darüber, ob man überhaupt eine Trennung zwischen Mikro- und Makroevolution vornehmen sollte. Einige lehnen diese Differenzierung rundweg ab, da sie eine eindeutige Abgrenzung suggerieren würde. Sie betonen, daß die Mechanismen die gleichen sind und bei größeren Zeiträumen lediglich zusätzliche Aspekte zum Tragen kommen. Makroevolution sei daher eher als ein einziger zusammenhängendender Mechanismus der Evolution zu sehen, ausgehend von den Prozessen der Artbildung .
Fazit:
Trilobiten durchliefen im Laufe ihrer dreihundert Millionen Jahre andauernden Präsenz auf der Erde unzählige evolutionäre Abwandlungen, die in einem Artenspektrum von 15000 + Spezies resultierten. Meilensteine dieser Veränderungen finden sich in Größe, Bau und Beschaffenheit ihres Panzers und ihrer Extremitäten, in der Entwicklung schizochroaler Augen bei den Phacopina und dem fast völligen Verschwinden der Segmentierung bei vielen Corynexochida. Die Ursachen dieser Veränderungen liegen in der Anpassung an vorgegebene oder sich verändernde Umweltbedingungen, im ständigen Wandel des verfügbaren Genpools, den daraus möglichen Kombinationen, beeinflußt und teilweise begünstigt durch die Steuerung durch Hox-Gene und Mutationen des Erbguts aufgrund äußerer Einflusse (Strahlungseinwirkung, etc.), usw.
Wir sind davon zutiefst überzeugt, daß die Trilobiten direkte Vorfahren im Präkambrium hatten, aus denen sie sich durch Makroevolution entwickelten. Wir sind weiter davon überzeugt, daß die Trilobiten und alle anderen Lebensformen des Planeten Erde in letzter Konsequenz auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen sind, der sich wahrscheinlich bereits vor ca. drei Milliarden Jahren entwickelte. Wie sich dieser erste Organismus bilden konnte, ist nicht gesichert. Dies bedeutet aber nicht, daß wir deswegen einen "Intelligent Designer" ins Spiel bringen müssen. Täten wir es doch, müssten wir auch die Frage seiner Herkunft klären.
Der geneigte Leser wird in diesem Zusammenhang sicher auch an unserer Unterseite "Kreationismus" interessiert sein, so er sie nicht bereits selbst gefunden hat!
© image of Parahomalonotus courtesy of PaleoDirect