Das Ende der Trilobiten
Massensterben am Ende des Perm"Long before the age of fishes, which began about 400 million years ago, the trilobites had already survived evolutionary decimation by about 170 million years. The span of time which saw the birth, development and disappearance of trilobites and their age is indeed staggering." - Riccardo Levi-Setti
Für etwa 300 Millionen Jahre herrschten die Trilobiten in den Meeren des Erdaltertums, beeinflußten und bestimmten die Ökologie und das Leben in den Ozeanen der Vorzeit. Aber wie allen guten Dingen war auch ihrer scheinbar ewig währenden, bedeutungsvollen Existenz irgendwann ein Ende gesetzt. Mehrere weltumspannende ökologische Katastrophen, ausgelöst durch klimatische Veränderungen, umfassende geologische Vorgänge oder Bombardierungen mit Meteoriten und Asteroiden aus den Tiefen des Alls, konnten sie überleben, konnten sich an neue Umweltbedingungen anpassen und sich gegen alte und neue Feinde behaupten. Erst das Inferno am Ende des Perm, vor ca. 251 Millionen Jahren, dem nach heutigen Schätzungen bis zu 70% aller Landbewohner, ein Großteil der Flora und mehr als 90% aller marinen Lebensformen zum Opfer fielen, löschte die Klasse der Trilobita endgültig aus. Damit verschwand eine der erfolgreichsten Lebensformen überhaupt von unserem Planeten..
Warum aber konnten sie diese letzte Hürde, die sie ins Erdmittelalter geführt hätte, nicht überwinden? Ein Grund dafür liegt im regelmäßigen Auftreten eben jener Katastrophen selbst, von denen die besagte am Ende des Perms ihnen letztendlich den Garaus machte; die Trilobiten zollten dem immerwährenden Kampf gegen die Vernichtung ihren finalen Tribut. Ausgehend von ihrer vollen Blüte mit mehr als sechzig Familien im Oberen Kambrium nahm diese Zahl beständig ab. Im Zuge mehrerer globaler Massensterben, von denen die Trilobiten selbstredend nicht unberührt blieben, reduzierte sich diese Zahl schon mit einem weiteren Extinction Level Event am Ende des Ordviziums auf gerade mal ein Drittel. Am Ende des Devons waren es gerade noch fünf. Von diesen fünf Familien aus der Ordnung der standhaften Proetida stellten sich nur drei zum letzten Überlebenskampf. Steter Tropfen höhlt den Stein. Mit einem derartigen Rückgang der biologischen Diversität auf ein Minimum war bereits der Grundstein für das sich anschliessende Drama gelegt. Je geringer Artenspektrum und Population, desto höher das Risiko der völligen Auslöschung selbst bei kleineren Ursachen: Im Zusammenwirken mit anderen ökologischen Ursachen, den biologischen Mechanismen von Verdrängung durch neue Lebensformen, veränderten Jäger-Beute-Schemata und ähnlichem, brach die Permkatastrophe den Trilobiten das Genick (im übertragenen Sinne, denn unsere Freunde sind ja Wirbellose).
"Selten zu sein bedeutet für eine Art, daß die Schwelle zum kollektiven Zusammenbruch niedriger liegt." schreibt David Quammen in seinem empfehlenswerten Buch "Der Gesang des Dodo". Irgendwann nach der großen Apokalypse am Ende des Perm harrte der letzte überlebende Trilobit, vielleicht ein Vertreter aus der Gattung der Acroypge, in einer dunklen Ecke des Meeresbodens aus. Im Zuge der globalen Katastrophe war die Nahrung rar geworden. Die Meere waren biologisch beinahe tot. In den letzten zwei Jahren hatte der kleine Trilobit nicht einen einzigen Artgenossen mehr zu Gesicht bekommen. Doch weder er selbst noch sonst jemand wußte, daß er der letzte seiner Art, seiner Familie, seiner Ordnung, seiner Klasse war. Dann kam der Tag - dunkel, wie die Tage in den letzten Monaten, durch die dem Einschlag folgenden Einbringung großer Materialmengen in die Erdatmosphäre, alle geworden waren - an dem sein Instinkt ihn unwiderstehlich dazu zwang, seine schützenden Winkel zu verlassen und auf Nahrungssuche zu gehen. Ein mariner Jäger, selbst zum Einzelgänger geworden und ebenfalls am Rande des Verhungerns, erspähte ihn und machte seinem vereinsamten Leben mit einem einzigen Biß ein Ende. So sieht Aussterben aus!
Eine sehr traurige Geschichte und dazu noch wehmütig erzählt (das mag man mir verzeihen), aber eine Geschichte, die sich auch heute tagtäglich wiederholt: Arten, Familien, Ordnungen, ganze Klassen sterben aus. Um die einhundert Spezies - viele davon Arthropoden - haben die letzten vierundzwanzig Stunden nicht überlebt. Und weitere einhundert Arten werden den morgigen Tag nicht zu Ende bringen.
Aber heute ist es der Mensch, der dafür meistens die Verantwortung trägt. So schafften wir es, den Dodo [Raphus cucullatus (LINNAEUS, 1758)], einen harmlosen, flugunfähigen und zudem verhängnisvoll zutraulichen Vogel aus der Familie der Tauben, der als endemische Art auf Mauritius lebte, gegen Ende des 17. Jahrhunderts innerhalb von gerade einmal 70 Jahren komplett auszurotten. Wir wissen heute nicht einmal mehr genau, wie er eigentlich ausgesehen hat, denn außer ein paar Ölgemälden (siehe Bild) und zweifelhaft aussagekräftigen Berichten ist uns nichts geblieben. Das letzte ausgestopfte Exemplar ließ ein britischer Museumsdirektor 1755 verbrennen, weil es "zu viel Staub angesetzt" hatte. Die menschliche Dummheit und Ignoranz kennt leider keine Grenzen.
Ergänzung im September 2008:
Mehr durch Zufall bin ich vor wenigen Tagen auf ein äußerst ungewöhnliches Buch gestoßen, das bereits 2004 erschienen ist, und auf Anhieb den European Publishers Award for Photography 2004 gewonnen hat. In diesem Buch im "Landscape"-Format ersteht der Dodo förmlich zu neuem Leben. Anhand verschiedener sterblicher Teilüberreste des Dodos aus vier europäischen Museen in Oxford, London, Kopenhagen und Prag - die einzigen Museen, die noch authentische Reste des Dodos beherbergen, - sowie unter Berücksichtigung zeitgenössischer Zeugenaussagen, hat der finnische Fotograf Harri Kallio den Dodo vollständig rekonstruiert und detailgetreue Modelle in Originalgröße geschaffen. Diese wurden zurück nach Mauritius geschafft und dort in der Heimat des Vogels in der Natur lebensecht platziert und fotografiert. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Geschichtsstunde, einer Einführung in die Techniken der Gerichtsmedizin und der kriminalistischen Nachstellung der Situation vor Ort - bevor er zum Tatort wurde! Die Fotografien sind wirklich außergewöhnlich und verschaffen dem interessierten Leser eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert, als der Dodo auf Mauritius seinem friedfertigen Leben nachging. Selten bin ich von Fotos fasziniert, aber dieses Buch begeistert!
Harri Kallio: Der Dodo auf Mauritius - Die Wiedergeburt eines ausgestorbenen Vogels
Gebundene Ausgabe: 121 Seiten
Verlag: Edition Braus im Wachter Verlag; Auflage: 1 (Oktober 2004)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3899041186
ISBN-13: 978-3899041187
Größe: 30,2 x 24,6 x 2 cm |
Das endgültige Verschwinden vieler Arten innerhalb der letzten zwei- bis dreihundert Jahre aufgrund unseres unverantwortlichen Handelns droht - nach Ansicht einer wachsenden Anzahl von Wissenschaftlern - von seinen Ausmaßen her zu einem "Gemetzel" zu werden, das sich in seinen Konsequenzen nicht wesentlich von den beobachteten Katastrophen seit Anbeginn des Kambriums unterscheiden wird. Da nach den geologisch belegten Massensterben etwa zehn Millionen Jahre vergingen, bis die Artenvielfalt wieder die vor dem Extinction Level Event beobachtete Vielfalt erreichte, könnten die Folgen unabsehbar und nachhaltig sein.
(Anm.: Die authentischste Darstellung des Dodo gibt es wohl in dem wundervollen Bildband "A Gap in Nature" von Tim F. Flannery und Peter Schouten zu bestaunen. In diesem Buch werden zahlreiche, zumeist durch Menschenhand ausgestorbene Arten bildlich wiederbelebt.)
Die durchschnittliche Verweildauer, die Überlebensrate einer Art, beträgt nur wenige Millionen Jahre. Statistisch gesehen haben wir die unsrige schon fast ausgeschöpft, was angesichts der obigen Geschichte vielleicht nicht einmal bedauerlich ist. Die Trilobiten haben weitaus längere Zeitspannen überlebt. Wir Menschen haben es nicht nötig - noch haben wir das Recht dazu - bei ihnen nach Unzulänglichkeiten zu suchen, die ihre Vernichtung begünstigt haben mochten. Ihr Design war gut genug um 295 Millionen Jahre zu überdauern - eine Leistung die nur von wenigen anderen Tiergruppen übertroffen wurde.
Wie oben bereits erwähnt, lassen neue Analysen großer Datenbestände auf den Beginn des vermutlich sechsten großen Massensterbens seit 440 Millionen Jahren schließen, das der Welt, insofern es nicht schon voll im Gange ist, so doch wohl unmittelbar bevorsteht. Ein Massensterben, von uns selbst verursacht. Und wir können nicht davon ausgehen, das selbige zu überleben. Dafür fehlt uns etwas, das den Trilobiten im Überfluß zu Verfügung stand: Anspruchslose biologische Sturheit.
Denn was die Existenz des Homo sapiens angeht, so darf man nie vergessen daß auch der Mensch nicht abgekoppelt von der Natur lebt, sondern Teil derselben ist.
Alles von Menschen gemachte und getane ist in diesem Sinne natürlich, auch die von ihm betriebene Vernichtung anderer Lebensformen und der eigenen Existenzgrundlagen durch Umweltverschmutzung und -zerstörung.
Wir betrachten uns selbst gerne als von den Vorgängen und Entwicklungen der Natur abgetrennt, was bar jeglicher Realität ist. In Wahrheit ist es die Evolution selbst, die mit der Schaffung des Menschen ihr bislang größtes Experiment gestartet hat, und wenn dieses fehlschlägt - wovon auszugehen ist - wird auch der "Affe im Anzug" den Weg all jener Kreaturen gehen, deren Aussterben beschlossene Sache ist. Und das ist wahrscheinlich auch besser so, das muß man ganz nüchtern sehen. Das mag vielleicht wie eine philosophische Betrachtung klingen, ist aber schlicht die Wahrheit. Man ist versucht, angesichts der täglichen Hiobsbotschaften darin einen gewissen Trost zu finden ...
Richard Fortey hat in einem seiner letzten Bücher, Der bewegte Planet, am Ende des fünften Kapitels in einem etwas anderen Zusammenhang eine nichtsdestotrotz passende Anmerkung zu unserer Spezies gemacht: "Die Menscheit ist nichts weiter als eine parasitische Zecke, die sich am momentanen Überfluß labt, solange die Meere niedrig sind und das Klima vergleichsweise gnädig ist. Doch die gegenwärtige Anordnung von Land und Meer wird sich ändern und mit ihr unsere kurze Vormachtstellung." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das Erlöschen der Trilobiten markiert das Ende des Paläozoikums, einer für uns immer noch geheimnisvollen Welt voller Rätsel, die wir nur langsam entschlüsseln können. Ob die Trilobiten wohl ahnten, welche Aufmerksamkeit Ihnen mehr als 250 Millionen Jahre nach ihrem Abtreten von einer anderen Spezies zuteil werden würde? Diese Ehre wird uns jedenfalls wohl nicht gegeben werden.
Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 31.01.2019 14:29
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