Die Kalzit-Augen der Trilobiten"Trilobites could see their immediate environment with amazingly sophisticated optical devices in the form of large composite eyes, the first use of optics coupled with sensory perception in nature." - Riccardo Levi-Setti Unsere fossilen Arthropoden weisen viele einzigartige Charakteristika auf und zu ihren interessantesten Eigenheiten gehören zweifellos die Augen: Die Trilobita haben bereits in der frühen Phase ihrer geschichtlichen Entwicklung als eine der ersten Tierklassen einen fortgeschrittenen Sehapparat entwickelt. Der weitaus größte Teil besaß zwei facettenartig aufgebaute Augen, die sich zu beiden Seiten der Glabella befanden - die Betonung liegt auf "facettenartig", denn es sind nicht wirklich Facettenaugen im eigentlichen Sinne. In wenigstens einer der neun Ordnungen gab es jedoch auch Trilobiten, die offenbar primär blind waren, d. h. sie haben zu keinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung Augen entwickelt, im speziellen Fall die Vertreter der Unterordnung Agnostina aus der Ordnung der Agnostida. Außerdem wurde bei zahlreichen Arten eine Sekundärblindheit festgestellt, also eine allmähliche Verkümmerung bereits entwickelter Augen und schließlich ein gänzliches Verschwinden, wahrscheinlich zurückzuführen auf sich verändernde Umweltbedingungen oder Methoden der Nahrungsbeschaffung. Diese Entwicklung gab es selbst in Ordnungen, die für ihren hochentwickelten Sehapparat bekannt sind (z. B. Phacopida). Es gibt drei anerkannte Arten von Trilobitenaugen, holochroal, schizochroal (das linke Bild zeigt die schizochroalen Augen eines Phacopiden der Gattung Hollardops) und abathochroal, wobei die letztere Art bislang ausschließlich in kambrischen Eodiscina gefunden wurde. So bezweifeln neuere Untersuchungen die Eigenständigkeit der dritten Art. Die weitaus meisten Arten verfügen über holochroale Augen. Schizochroale Sehapparate mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten sind eine "Erfindung" der Ordnung Phacopida, Unterordnung Phacopina und nur dort anzutreffen. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß die sehr oft bei hochpreisigen russischen Präparaten (z. B. von Hoplolichas, Hoplolichoides, etc.) anzutreffenden schizochroal anmutenden Augen samt und sonders als Fälschungen anzusehen sind. Bekanntermaßen gehören diese Trilobiten zur Ordnung der Lichida, nicht der Phacopida, und können daher gar keine schizochroalen Augen besitzen. Vielmehr werden die regelmäßig nicht erhalten gebliebenen holochroalen Ocellenfelder aus verkaufsfördernden Gründen einfach durch schizochroal anmutende Kunststoffaugen ersetzt. Umso erstaunlicher, daß diese teilgefakten Präparate über viele Jahre hinweg zu teils astronomischen Preisen an den Mann gebracht werden konnten und viele Sammler erst spät mit teils sogar ungespielter Empörung darauf reagierten. Dies beweist nur daß viele Sammler ihrem Hobby nachgehen ohne sich etwas detaillierter mit dem zu beschäftigen, was sie sich in die repräsentative Vitrine stellen. Wer dies als Schelte versteht, der hat recht verstanden Aber was unterscheidet nun echte holochroale von schizochroalen Augen? Holochroale Augen bestehen aus einer Ansammlung dicht gepackter konvexer Linsen aus primärem Kalzit, die von einer einzigen, alle Linsen bedeckenden Hornhautschicht überlagert werden, die ebenfalls aus Kalzit besteht. Die Einzellinsen sind ihrer Form nach oft sechseckige Prismen und variieren in der Anzahl von einer einzigen bis zu mehr als 15.000 Kristallen. Sie funktionieren mehr oder weniger wie die Facettenaugen heutiger Insekten, nur daß sie eben aus reinsten, klaren Kalzitkristallen bestehen. Schizochroale Augen bestehen aus wenigen bis zu mehr als 700 einzelnen, relativ großen und dicken Linsen, von denen jede einzelne durch eine eigene Hornhaut überlagert wird. Jede Einzellinse sitzt in einer konischen oder zylindrischen Fassung und ist von der benachbarten Linse durch eine lichtundurchlässige Gewebeschicht getrennt, der Sklera, die aus dem selben Material besteht wie der ganze Panzer. Diese Abtrennung reicht tief in das Auge hinein und bietet der Hornhaut Halt, die sich ebenfalls bis tief in das Auge hinein fortsetzt. Nachfolgend, zur besseren Veranschaulichung, ein paar Detailaufnahmen verschiedener Trilobitenaugen, sowohl holochroal wie auch schizochroal. Die Aufnahmen stammen entweder von Trilobiten aus unserer eigenen Sammlung oder aber es handelt sich um Ausschnitte von Aufnahmen, die uns im Laufe der Zeit zwecks Verwendung auf unserer Seite einmal überlassen wurden. Diese Bilder zeigen allerdings nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Repertoire, das unsere kleinen Krabbler aufzuweisen hatten. Die Ausgestaltung der Augen ist genauso vielfältig wie die gesamte Morphologie: Holochroale und schizochroale Augen:
| | | schizochroales "Turmauge" von Erbenochile aus dem Devon von Marokko | schizochroales Auge bei Kayserops tamnrherta vom devonischen Fundort Zguilma in Marokko | schizochroale Augen eines devonischen Phacopiden in sechseckigen "Waben" | | | | großflächige, holochroale Augen bei einem Proetiden aus den Eifeler Kalkmulden | knopfartige, kleine holochroale Augen bei einem Cheirurus gibbus aus dem Devon | Encrinurus macrourus aus dem Silur der Insel Gotland: holochroale Augen auf kurzen Stielen | | | | schizochroales Auge eines Drotops armatus: konvexe Linsen in sechseckigen "Waben" | holochroale Augen auf kleinen Stielen bei einem devonischen Cyphaspis sp. aus Marokko | sichelförmige, holochroale Augen bei einem unbeschriebenen kambrischen Redlichiiden aus Sibirien |
Die Einzigartigkeit des schizochroalen Auges besteht in seinem Aufbau. Die einzelnen Linsen sind fast kugelförmig und im Verhältnis sehr groß. Sie waren dazu bestimmt Licht in einem Brennpunkt zu fokussieren. Daraus ergab sich jedoch das übliche Problem der sphärischen Aberration, da Lichtstrahlen je nach Strahlengang in einer Linse unterschiedlich lange Wege zurücklegen müssen und je nach Beschaffenheit des Materials der Linse unterschiedlich stark gebrochen werden. Als Folge gibt es keinen einheitlichen Brennpunkt und auch kein klares Bild. Aber unsere Trilobiten wären keine Trilobiten wenn sie dafür keine Lösung gefunden hätten ... ;-) Das oben beschriebene Problem der schizochroalen Linsen lösten Trilobiten wie Phacops auf eine geradezu geniale Weise: An der Basis einer jeden Einzellinse gab es eine Art "Schale", die eine andere Struktur aufwies als der darüber liegende Bereich und von diesem klar abgegrenzt war. Es handelt sich bei den schizochroalen Linsen also um Dubletten. Das Kalzitkristall dort war verändert, es hatte Magnesiumatome aufgenommen (Magnesium ist der nächste Verwandte des Kalziums im Periodensystem der Elemente). Bei genügender "Verunreinigung" veränderte sich der Brechungsindex des Kristalls. Tatsächlich war die Magnesium-Anhäufung in den maßgeblichen Bereichen genau so groß, daß sie die sphärische Abweichung korrigieren konnte. Die schizochroale Phacops-Linse sah größere Ausschnitte der Umgebung und sie sah sie vermutlich recht scharf und klar. Eine wirklich identische Konstruktion hat es im Tierreich bis heute nicht wieder gegeben, es ist in dieser speziellen Form wohl in der Tat einzigartig. Neuere Untersuchungen haben jedoch bei rezenten Insekten und Arthropoden zumindest vergleichbare Optiken festgestellt. Die nachfolgenden Detailaufnahmen zeigen noch einmal ganz deutlich die äußerlich sichtbaren Unterschiede zwischen holochroalen und schizochroalen Augen: links: holochroales Auge nach Clarkson, 1975, rechts ein schizochroales Auge nach Levi-Setti, 1993 Anm.: Wie die Trilobiten es zustande brachten, derartige Systeme aufzubauen, ist bis heute nicht ganz geklärt. Es ist wohl unstrittig, daß sie die Augenlinsen aus dem selben im Meerwasser gelösten amorphen Kalziumkarbonat aufbauten, mit dem sie auch den übrigen Panzer mineralisierten und damit härteten. Die exakte Ausbildung zu transparenten Einzelkristallen mit festgelegter Form ist jedoch noch nicht ausreichend dargelegt. Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit über bestimmte rezente Seeigel mit Stacheln aus kalzitischen Einzelkristallen mag hier einen Ansatzpunkt liefern: Diese Seeigel umgeben aufgenommenes gestaltloses Kalziumkarbonat mit einer Hülle aus lebenden Zellen und bringen das Mineral in die erforderliche Form bevor es auskristallisiert. Wie genau dieser Vorgang abläuft ist aber noch unklar. In jedem Falle käme man mit einer Klärung dem Geheimnis der Trilobitenaugen sicher weitaus näher. Variationen der TrilobitenaugenWie bei allen anderen Aspekten des Trilobitenkörpers gab es auch bei den Augen der Trilobiten eine große Vielfalt an Größe und Form. Viele der frühen Trilobiten hatten halbmond- oder sichelförmige, relativ schmale Augen wie zum Beispiel bei dem Corynexochiden Polypleuraspis oder bei vielen der relativ großen Redlichiida. Eine eher konische Ausformung des Auges gab den Vertretern der Art Phacops ein hervorragend großes Blickfeld. Manche freischwimmende Trilobiten hatten Augen, die so groß waren, daß sie einen Rundumblick von 360 Grad ermöglichten, eine fast logische Entwicklung, wenn man nach allen Richtungen auf Feinde spähen mußte. Hingegen waren spezialisierte Formen wie Agnostus gänzlich blind. Manche Arten, die auf dem dunklen Meeresboden nach Nahrung suchten, verloren mit der Zeit ihre vormals ausgebildeten Augen, andere, wie der seltsame Trilobit Asaphus kowalewskii aus Russland (siehe rechts und Bild oben), entwickelten Stielaugen, um aus Schlamm- und Algenschichten, in denen sie vielleicht schwammen oder krabbelten, hinauszulugen und auf Feinde oder Beute zu spähen. Mehrere Beispiele finden sich natürlich auch in unserer Galerie. Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 31.01.2019 14:30
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