Entstanden aus dem Nichts?
Die Vorgeschichte der Trilobiten"If my theory be true, it is indisputable that before the lowest Silurian stratum was deposited, long periods elapsed, as long as, or probably far longer than, the whole interval from the Silurian age to the present day; and that during these vast, yet quite unknown periods of time, the world swarmed with living creatures." - Charles Darwin* Das plötzliche Auftreten von Tierfossilien in den sedimentären Ablagerungen des Unteren Kambriums ist ein heiß diskutiertes und bisweilen ideologisch umkämpftes Thema. Nicht umsonst wurde einst der Begriff "Kambrische Explosion" geprägt, ein Ausdruck, den man heute nur noch mit Vorsicht benutzen sollte - einerseits, weil er nach neueren Erkenntnissen in seiner ursprünglichen Bedeutung und Aussagekraft eigentlich nicht mehr zu halten ist und andererseits, weil er bestimmten pseudowissenschaftlichen Bewegungen unbeabsichtigt und mißbräuchlich als Werkzeug dient. Denn das fast gleichzeitige Erscheinen unterschiedlicher Stämme im Fossilnachweis wurde und wird von Kreationisten gern dazu benutzt, um einen Schöpfer ins Spiel zu bringen, der diese Faunenvielfalt gewissermaßen mit einem Schlag in Existenz setzte. Zu einem solchen Schluß kann man aber - und zwar unabhängig davon, ob man religiös ist oder nicht - nur durch Ignoranz und oberflächliche Betrachtung kommen. Es ist innerhalb der Wissenschaftsgemeinde und aufgeklärten Öffentlichkeit mittlerweile unbestritten, daß das Leben bereits seit mehr als zwei Milliarden Jahren auf der Erde präsent ist. Ja, es gibt sogar Hinweise darauf, daß der Beginn des Lebens bereits an einem Punkt eine Milliarde Jahre nach der Entstehung des Planeten anzusiedeln ist, also vor gut 3,5 Milliarden Jahren. Aber so weit brauchen wir in unserer Betrachtung gar nicht zurückzuschauen. Wir befassen uns hier ja in erster Linie mit Trilobiten, und deren Überreste treten erst in Ablagerungen des Unteren Kambrium auf. Wie wir oben bereits erfahren haben, bedeutet das aber nicht, daß es vorher keine gab. Das frühe Kambrium war wahrscheinlich vielmehr eine Zeit, in der manche Arthropoden - unter ihnen die Trilobiten - sich erstmals ein mineralisiertes Exoskelett zulegten und erst damit überhaupt fossilierbar wurden. Ihre Vorläufer, die noch keinen harten Panzer besaßen, hatten kaum eine Chance, sich über die vielen Jahrmillionen hinweg bis in unsere Zeit hinüberzuretten. Und dennoch gibt es einige wenige Orte auf dieser Welt, an denen sich selbst potentielle Vorläufer unserer Trilobiten als Abdrücke erhalten haben. Für die Feststellung, daß diese Vorläufer im Präkambrium existierten, gibt es zumindest zwei überzeugende Beweisführungen. Die erste basiert auf der Existenz von Spurenfossilien aus vorkambrischer Zeit, den erhalten gebliebenen Fährten dieser Tiere (siehe Illustration weiter unten), die ebenfalls in Sedimenten des gesamten Paläozoikums evident sind und dort bisweilen sogar die Überreste von Trilobiten selbst enthalten. In Ablagerungen aus vorkambrischer Zeit, die an der Grenze zum Kambrium liegen, werden diese Spurenfossilien häufiger gefunden, und zwar in, stratigraphisch betrachtet, älteren Sedimenten als jenen, die die ersten Spuren von Trilobitenpanzern enthalten. Nun können aber nicht-existente Arthropoden auch keine Fährten hinterlassen, und so belegen diese Fährten die Existenz von Trilobiten, oder zumindest ihrer Vorfahren, einige Zeit vor der erstmaligen Entwicklung mineralisierter Exoskelette. Auch kann man beobachten, daß die besagten Spurenfossilien aus vorkambrischer Zeit in zunehmendem Maße - will heißen in ihrer zeitlichen Abfolge - komplexer wurden, was auf eine sich bereits im wahrsten Sinne des Wortes im "vollen Gange" befindliche Evolution hindeutet! :-) Die zweite Beweisführung, und die wahrscheinlich noch überzeugendere, gründet auf den Fossilien der Ediacara-Fauna, die ebenfalls aus vorkambrischen Sedimenten stammt. Diese Fauna wurde allgemein als eine Vorläufergruppe der Tierstämme angesehen, die dann im Kambrium "plötzlich" auftraten. Diese These war zwischenzeitlich umstritten, insofern als bestimmte Forscher diese Fauna einem heute unbekannten, urzeitlichen Tierreich zuordnen wollten. Gegenwärtig ist man sich mehr oder weniger einig, daß, selbst falls diese Theorie stimmen sollte, sie nicht auf alle Lebewesen der Ediacara-Fauna angewandt werden kann. Die Fossilien der Ediacara-Fauna stammen durchweg von weichkörperigen Lebewesen und haben sich lediglich als Abdrücke in Sandstein erhalten. Man nimmt an, daß mikrobiotische, sediment-bindende Matten daran beteiligt waren, diese ungewöhnliche Art der fossilen Erhaltung zu gewährleisten, und daß diese Art der Fossilisation auf präkambrische Zeiten beschränkt blieb, da sie mit dem Auftreten erster, mikrobenfressender Jäger zunehmend unwahrscheinlicher wurde. Die Ediacara-Fauna brachte mehrere Taxa zutage, die, wenn sie nicht als Vorläufer der Klasse Trilobita so doch zumindest als Urväter der Arthropoden angesehen werden könnten, so. z. B. Vendia, Vendomia, Onega, Praecambridium, Parvancorina und Marywadea. Jedes der genannten Lebewesen zeigt bereits eine deutliche Gliederung zwischen Kopf und Schwanz und ein äußeres Erscheinungsbild, wie man es von primitiven Arthropoden oder ihren Vorläufern erwarten würde. Es gibt sogar ein Taxon, daß eine eindeutige Zuordnung als Trilobiten-Vorläufer wahrscheinlich werden läßt. Die eigentlichen, stammesgeschichtlichen Ursprünge der Trilobiten liegen jedoch weiterhin ziemlich im Dunkel. Der Fossilnachweis ist in seiner Quantität mangelhaft, aber durchaus nicht hinweisarm. Unter außergewöhlichen Umständen, wie in Chenjiang und im Burgess Shale, sind Faunen nichtkalzifizierter Arthropoden in ihrem ganzen Reichtum fossil überliefert. Funde aus Konservatlagerstätten, die ins Präkambrium datiert werden, haben einige Kandidaten ans Licht gebracht, die auf die eine oder andere Weise eine Verwandschaft zu den Trilobiten als wahrscheinlich erscheinen lassen. Das momentan plausibelste Szenario: Die Trilobiten enstanden aus präkambrischen Vorläufern, die unsere angelsächsischen Freunde als "bilaterians" bezeichnen, also Lebewesen mit einem "Kopf" und "Schwanz" und spiegelgleichen Körperseiten (z. B. Spriggina floundersi). Ob man diese Wesen bereits als Arthropoden bezeichnen kann, sei einmal dahingestellt. Diese präkambrischen Vorläufer stiegen letztlich dann aber auf zu den arachnomorphen Arthropoden des Kambriums, unter die sich auch die Klasse der Trilobita einreihte. Der Fossilnachweis beinhaltet also trotz aller gegenteiligen Behauptungen überzeugende Hinweise dafür, daß bereits vor der erstmaligen Entwicklung eines mineralisierten Exoskeletts Trilobiten oder ihre direkten Vorläufer existierten. Spurenfossilien belegen eine sich bereits im Gang befindliche Evolution der Arthropoden. Die Ediacara-Fauna belegt ebenfalls die Existenz von wahrscheinlich primitiven Arthropoden und Vorläufern der Trilobiten im späten Präkambrium. Die Behauptung, daß die Trilobiten und andere Stämme und Klassen erst in der "Kambrischen Explosion" urplötzlich auftraten ist damit schlicht und einfach falsch! * Die von Darwin angesprochenen "Ablagerungen des Untersten Silur" entsprechen Ablagerungen, die heute als dem Kambrium zugehörig eingestuft werden, einer Formation, die im Jahre 1859 von Sedgwick zwar schon angedacht, jedoch weder exakt definiert noch generell akzeptiert war. Darwin bezieht sich in seiner Anmerkung daher tatsächlich auf die sogenannte "Kambrische Explosion".
Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 31.01.2019 14:34
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