Zum aus der Haut fahren !
Wie Trilobiten wuchsen
Trilobiten durchliefen während ihres Lebenszykluses nicht nur verschiedene Stadien mit unterschiedlicher Morphologie (Protaspis, Meraspis, Holaspis), sie wurden natürlich mit zunehmendem Alter auch größer. Wie die modernen Krustentiere mit ihrem harten Chitinpanzer waren daher auch unsere paläozoischen Freunde mit ihrem kalzitischen Außenskelett gezwungen ihre äußere Hülle in regelmäßigen Abständen abzuwerfen und durch eine neue zu ersetzen. Zu diesem Zweck besaßen sie - vor allem an ihrem Kopfschild - eine Reihe von Sollbruchstellen, die sogenannten Gesichtsnähte oder Suturae (Facial-Sutur).
Wenn der alte Panzer zu eng geworden und die Zeit zur Häutung oder Ecdysis gekommen war, zogen sich unsere Arthropoden daher wenn möglich - analog zu rezenten Krustentieren - an einen geschützten Ort zurück. Es ist wahrscheinlich, daß spezielle Häutungshormone den Beginn des Prozesses betreffend eine erhebliche Rolle spielten. Die Gesichtsnähte, die man heute in drei verschiedene Typen einteilt, begannen aufzuplatzen, wobei der Typ durch den hinteren Mündungspunkt der Gesichtsnaht in Bezug auf das Wangeneck bestimmt wird. Es gibt propare, gonatopare und opisthopare Nähte. In der nachfolgenden schematischen Darstellung (Xystridura, unten) haben wir einen Trilobiten mit opisthoparen Gesichtsnähten vor uns, da der hintere Mündungspunkt der Gesichtsnähte eindeutig hinter dem Wangeneck (in diesem Fall der Spitze des Wangenstachels) liegt. "Hinter" bezieht sich hier nicht auf die exsagittale Positionierung sondern ist auf den Verlauf des Cephalonrandes bezogen!
Die Neubildung des Trilobitenpanzers nach einer Häutung lief wahrscheinlich sehr schnell ab, da ein Arthropode nach diesem Vorgang völlig ungeschützt war. Einige Wissenschaftler nehmen an, daß daher zuerst eine dünne prismatische Schicht sekretiert wurde, die nur eine ebenfalls sehr dünne Primärschicht überlagerte. Damit wurde ein erster behelfsmäßiger Schutz aufgebaut. Mit Fortschreiten der Sekretion wurde die Primärschicht dann Lage für Lage dicker aufgebaut (MILLER & CLARKSON, 1980). Dies scheint anzudeuten, daß die prismatische Schicht sehr einfach und schnell aufzubauen war.
Die prismatische Schicht könnte auch ein guter Schutz gegen bohrende Organismen gewesen sein. Sie war darüber hinaus wahrscheinlich äußerst stabil gegen Duckkräfte, die normal auf den Panzer einwirkten, jedoch sehr schwach gegen Scherkräfte. Dadurch ausgelöste Brüche würden sich ungehindert von Kristall zu Kristall durchziehen und erst von der Primärschicht gestoppt werden. Allein daraus ergibt sich bereits die Notwendigkeit, daß bei der Neubildung eines Panzers nach der Häutung sowohl eine prismatische als auch eine dünne Primärschicht parallel aufgebaut werden mussten. Die bruchhemmende Wirkung der Primärschicht kann sich übrigens über Jahrmillionen hinweg unverändert erhalten. Das kann jeder bezeugen, der Trilobiten selbst sammelt und präpariert: Während die äußere prismatische Schicht beim Fundschlag sehr oft zu Schaden kommt, bleibt die Primärschicht in der Regel tadellos erhalten. ;-) Nähere Infos zum Aufbau des Trilobitenpanzers finden sich neuerdings auch auf der Unterseite Morphologie. |
Zerfall des Kopfschildes eines Trilobiten am Beispiel des typischen redlichioiden Trilobiten Xystridura (ventrale Sichtweise!) Das Cephalon zerfällt in Cranidium, Freiwangen, Rostralplatte (pink) und Hypostom, wobei es bei dieser Gattung sein kann, daß das Hypostom auch beim Zerfall mit der Rostralplatte verbunden blieb. - Line drawing courtesy of Dr. Sam Gon, © 1999, 2000 by S. M. Gon III
Wie in der obigen Zeichnung dargestellt, zerfiel das Kopfschild oder Cephalon zumeist in eine ganze Reihe von Bruchstücken, von denen die wesentlichen die beiden Freiwangen (Librigenae) und das Cranidium waren (bestehend aus Glabella und Festwangen) sowie die Rostralplatte und das ventralseitig positionierte Hypostom. Auch die Oberfläche des Sehapparates wurde bei den meisten Gattungen (Ausnahmen: z. B. die Vertreter der Harpetida und manche aus der Ordnung der Asaphida aufgrund andersartiger Nahtverläufe) mit abgesprengt, was sicher den Vorteil hatte, daß die Sicht bei jeder Häutung wieder erheblich verbessert wurde (Erneuerung der Hornhaut). Nachfolgend zwei Fotos, die diesen Vorgang etwas verdeutlichen. Bei den in den Aufnahmen gezeigten Panzern handelt es sich nicht notwendigerweise um Exkuvien, sie sollen lediglich den Verlauf der Gesichtsnähte und das Abtrennen der Augenoberfläche verdeutlichen.
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rechts: Flexicalymene retrorsa (FOERSTE, 1910), Ordovizium, Arnheim Formation, Cincinnati, Ohio: Deutlich sind die Gesichtsnähte zu erkennen. Die rechte Freiwange liegt bereits etwas abgelöst vor. Der Verlauf der Gesichtsnaht weist diese als eine gonatopare Naht aus, da sie im Wangeneck mündet.
links: Xenaspahus (Delphasaphus) delphinus (LAWROW, 1856), Ordovizium, Wolchow-Fluß, St. Petersburg: Die rechte Freiwange ist bei diesem Exemplar bereits vollständig abgelöst. Deutlich ist die mitabgetrennte Augenoberfläche zu erkennen. Der Verlauf der Gesichtsnaht zeigt den Typ an; es handelt sich um eine opisthopare Naht.
War das Kopfschild erst einmal in seine Einzelteile zerlegt, zwängte sich der Trilobit samt Beinen durch den so entstandenen "Ausgang" aus seinem alten Panzer nach vorne heraus. Dabei kamen ihm eventuell vorhandene Stachelfortsätze am Cephalon und Pygidium zustatten, mit denen er sich im Substrat abstützen konnte. Dr. Sam Gon hat dazu eine vereinfachte, aber sehr anschauliche Animation erstellt, die diesen Vorgang beispielhaft an einem Trilobiten der Ordnung Redlichiida deutlich macht. Natürlich gibt es für die Stachel allgemein und die Wangenstachel insbesondere auch andere Deutungsversuche (siehe hierzu auch: Bestachelung).
Natürlich können sich beispielsweise die Vertreter der Gattungen Phacops oder Asaphus nicht auf diese Art gehäutet haben, da bei Phacops die Gesichtsnähte untrennbar miteinander verschmolzen waren, bzw. beiden genannten Gattungen Stachelfortsätze, in der Form wie sie hier gezeigt werden, fehlten. Hier müssen andersartige Bewegungsabläufe, wie sie auch bei rezenten Crustaceen zu beobachten sind, zum gleichen Ziel geführt haben. Skizzen dazu sind unter anderem in der Treatise von 1959 zu finden (Saltersche Einbettung)
Nach dem Häutungsvorgang mußte der Trilobit einige Zeit - wenn er Glück hatte in einem sicheren Versteck - ausharren bis die jetzt weiche Außenhaut sich durch Aufnahme von Kalziumkarbonat aus dem Meerwasser wieder zu einer harten Schale mineralisiert hatte. |
Animation courtesy of Dr. Sam Gon
© 1999, 2000 by S. M. Gon III
Adapted from Whittington, 1990 via the 1997 Treatise (p. 156-7) .Der Vorgang der Häutung wurde von den Trilobiten des Paläozoikums häufig durchlaufen. Bei den meisten fossilien Überresten mag es sich daher um Häutungsreste (Exkuvien) handeln, und nicht um den eigentlichen Trilobiten zum Zeitpunkt seines Todes. Dies ist aber kein Faktor, der sich auf die Wertigkeit eines Fossils auswirkt, es sei denn daß wesentliche Teile überhaupt nicht mehr vorhanden sind.
Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 31.01.2019 14:33
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